20 Aug. Deutsche Wirtschaft nicht durch Remonopolisierung schwächen – Forcierter Regulierungsabbau erschwert zunehmend Wettbewerb und Glasfaserausbau
Bonn/Köln, 20. August 2020. Der Abbau der Regulierung zugunsten der Deutschen Telekom schreitet immer weiter voran. Gestern hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) ihre Analyse zu Markt 3b (Bitstrom) zur Konsultation gestellt. Nachdem die Telekom bereits in 20 Städten aus der Regulierung entlassen wurde, beabsichtigt die BNetzA nun, die Deregulierung um 125 auf 145 Städte mit 13,7 Millionen Breitbandanschlüssen auszuweiten. Der Marktanteil der Telekom liege dort unter 40 Prozent und sie biete ein entsprechendes Vorprodukt (Layer 2) an. Laut der Beratungsgesellschaft seim & partner bedeute diese Ausweitung einen Riesensprung auf fast die Hälfte der Haushalte in Deutschland und mehr als ein Drittel des Marktes (Anschlüsse).
„Das erweist sich als durchaus problematisch für einige Marktteilnehmer, die auf das Vorleistungsprodukt der Telekom angewiesen sind und nun mit höheren Kosten rechnen müssen, die wiederum an die – häufig Geschäftskunden – weitergegeben werden müssten“, sagt VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner. Mehrere Millionen Anschlüsse der Wettbewerber laufen über das bisherige Layer-3-Vorprodukt, das in den nun nicht mehr regulierten Städten nicht mehr verpflichtend angeboten werden muss. Damit wird das Angebot von Vorleistungen stetig kleiner und das neue Ankerprodukt Bitstrom Layer 2 ist in vielen Fällen zu teuer, um die Nachfrager gegenüber der Telekom wettbewerbsfähig zu halten.
„Vor allem aber darf der Entscheidungsentwurf keinesfalls isoliert betrachtet werden. Die Wettbewerbs-Situation entwickelt sich aus Sicht des VATM immer weiter zugunsten der Telekom. „Für die Wettbewerber, insbesondere die Geschäftskundenanbieter, wird die Versorgung der Wirtschaft mit spezifischen und sehr hochwertigen Diensten zu günstigen Preisen zunehmend schwieriger“, so der VATM-Geschäftsführer. Ebenso problematisch für die Anbieter von Geschäftskundenprodukten ist aus Sicht des VATM die erst vor wenigen Wochen zugunsten der Telekom getroffene Entscheidung, die Preise für Mietleitungen zu erhöhen. Andere für die Wirtschaft wichtige Produkte werden absehbar nicht mehr in der erforderlichen Qualität angeboten, und es steht kein Ersatz zu angemessener Qualität und angemessenen Preisen zur Verfügung. „Die Bundesnetzagentur darf sich nicht als Deregulierungsbehörde sehen, sondern muss dort eingreifen oder Regulierung aufrechterhalten, wo der Wettbewerb ansonsten beeinträchtigt würde“, fordert er.
„Die Telekom macht, wie schon bei Vectoring, massiv Druck auf Politik und Regulierer“, warnt Grützner: „Sie verknüpft völlig zu Unrecht ihren schleppenden Glasfaserausbau mit der ebenso mantraartigen wie falschen Behauptung, nur bei höheren Preisen und immer weniger Regulierung könne es mehr Glasfaserausbau und weniger Kupfer-Vectoring geben. Dabei ist es gerade der starke Investitionswettbewerb, der es geschafft hat, die Telekom langsam vom Kupfer-Vectoring abzubringen.“
„Zum Erreichen der in der Politik zu Recht formulierten Gigabit-Ziele müssen und dürfen sich die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb und die Versorgung der Deutschen Wirtschaft nicht verschlechtern – im Gegenteil: Wir können und müssen beides gemeinsam erreichen, wenn wir bei der Digitalisierung wieder eine Spitzenrolle einnehmen wollen“, unterstreicht der VATM-Geschäftsführer.
So führe gerade der zu hohe Mietpreis für die sogenannte letzte Meile im Kupfernetz (Teilnehmeranschlussleitung/TAL) dazu, dass die Telekom mit großen Gewinnen weiter ihre Kupfernetze betreiben könne und wolle. „Und auf der anderen Seite fehlt den Wettbewerbern, die noch viele Millionen Anschlüsse bei der Telekom anmieten müssen, das Kapital für die nun notwendigen Gigabit-Investitionen. Der Wettbewerb durch private Investoren wird so deutlich erschwert. Es werden dabei gerade auch die Unternehmen geschädigt, die Glasfaser ausbauen“, kritisiert Grützner. Der VATM-Geschäftsführer fordert: „Wir müssen dringend das Gesamtbild und die Gefahren nicht nur für Branche selbst, sondern für die Wirtschaft in Deutschland im Blick behalten.“