Drei verlorene Jahre für die Digitalisierung: Gefordert, aber nichts geliefert
Das Ende der Ampelkoalition bedeutet das Ende zahlreicher Gesetzesvorhaben. Dazu gehören viele Verfahren, die für Digitalisierung Deutschlands wichtig waren. Erheblich sind auch die Auswirkungen auf die Ausbauziele bis 2030.
Mit dem Ende dieser Legislaturperiode unterliegen voraussichtlich auch gute Ansätze in digitalpolitischen Gesetzentwürfen der Diskontinuität. Dazu gehören zuvorderst das TK-Netzausbau-Beschleunigungs-Gesetz (TK-Nabeg), das NIS-2 Umsetzungsgesetz, das Gesetz zur Stärkung der Resilienz kritischer Anlagen (Kritis-DachG) sowie auch die „Quick-Freeze“ Initiative aus dem Justizministerium.
Eine neue Regierung wird mit einer erheblichen Erblast in die Digitalpolitik starten. Sie sollte den Schwung des neuen Anfangs nicht in die Formulierung überehrgeiziger Ziele investieren, sondern schnell ins Machen kommen.
Nach mehr als einem Vierteljahrhundert Liberalisierung verfügt die Deutsche Telekom noch immer über eine marktbeherrschende Stellung im gesamten deutschen Telekommunikationsfestnetzmarkt. Dies ist das Fazit der „Zweiten Analyse der Wettbewerbssituation auf dem deutschen Festnetzmarkt“ von Dialog Consult und VATM (September 2024).
Zwar nimmt die Bedeutung der Glasfaseranschlüsse stetig zu, dennoch ist die „Kupferleitung“, auf der aktuell gut zwei Drittel aller aktiven Anschlüsse basieren, nach wie vor die dominierende Anschlusstechnik. Wettbewerb und auch Wertschöpfung finden noch überwiegend auf der Kupfer-Plattform der Telekom statt. Die Situation für die Wettbewerber der Telekom wird zunehmend schwieriger. Eine unzureichende Regulierung behindert hier den Wettbewerb ebenso wie den Glasfaserausbau.
Die Entwicklung der Marktanteile des gesamten Breitbandmarktes – DSL, HFC-Kabel und Glasfaser – zeigt, dass die Telekom Marktanteile hinzugewinnt bzw. ihre Position stabilisiert – zulasten der Wettbewerber. Ein solches Wiedererstarken des Ex-Monopolisten ist im EU-Vergleich die Ausnahme.
Während die Telekom an den kupferbasierten Anschlüssen, die von den Wettbewerbern vermarktet werden, über entsprechende Vorleistungsprodukte deutlich mitverdient, gibt es auf der FTTH-Plattform der Telekom in 2024 erst vier Prozent Wettbewerberanschlüsse. Dabei kommt einem fairen Zugang auf diese Plattform gerade für die Zukunft eines funktionierenden Wettbewerbs und der anstehenden Migration von Kupfer auf Glas eine überragende Bedeutung zu.
Prof. Dr. Peter Winzer, Professor für Telekommunikationswirtschaft an der Hochschule RheinMain und Gesellschafter Dialog Consult stellt in der Studie fest, dass die schwache Regulierung der Vorleistungsprodukte sowie fehlende Möglichkeiten der Wettbewerber, wichtige Infrastruktur-Komponenten der Telekom, z. B. Leerrohre, zu nutzen, eine aggressive Preispolitik der Telekom erst möglich machen, mit der sie ihre Marktmacht stärke.
Die neueste Analyse der Wettbewerbssituation auf dem Festnetzmarkt zeigt zudem, dass die Telekom mit hoher Geschwindigkeit, in Form von Homes passed, im FTTH/B-Markt ausbaut. Mit diesem „Einschlagen von Pflöcken“ verfestigt sie ihre dominante Stellung auch auf dem Glasfasermarkt.
Eine wettbewerbssichernde Regulierung – und gerade keine Regulierung light – ist daher für einen funktionierenden Wettbewerb essentiell.
Bereits als die Gigabitstrategie Mitte 2022 und die ambitionierten Ziele für den Glasfaserausbau vorgestellt wurden, waren sich Experten und Marktforscher einig: Eine Vollversorgung schon 2030 sei nicht erreichbar. Die VATM-Marktzahlen belegten das schon letztes Jahr. Dass die ambitionierten Ziele der zerbrochenen Regierung bis 2030 nicht erreicht werden können, ist das Ergebnis falscher oder keiner Weichenstellungen. Dass die Wettbewerber auf dem TK-Markt dennoch mit Hochdruck ganz Deutschland umgraben und den Ausbau moderner TK-Infrastruktur enorm vorantreiben, kann angesichts falscher Rahmenbedingungen nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Seit einigen Jahren wird das für Deutschland einmaliges Investitionsklima sehenden Auges von der Politik zerstört, in dem diese den Ex-Monopolisten Deutsche Telekom über Jahre hinweg beim strategisch motivierten und allein auf die Abschreckung von Wettbewerb ausgerichteten Überbau alternativer Glasfasernetze hat gewähren lassen. Während nahezu ganz Europa Deutschland bei Digitalisierung und Konnektivität überrundet hat, zettelt in Deutschland eine Diskussion an, die im Jahr 2024 die akute Sinnhaftigkeit schneller Glasfaseranschlüsse infrage stellen will.
Ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz, dass nach fast zweijähriger Odyssee durch die Untiefen der Regierungskoalition jetzt endgültig ge scheitert, ist nur ein Indiz für eine verfehlte TK-Infrastruktur-Politik. Keine optimale Verzahnung von eigenwirtschaftlichem und gefördertem Ausbau („Überförderung“), große wettbewerbliche Verwerfungen durch die anhaltende Marktmacht der Telekom, eine zu schwache Regulierung und fehlende Planungssicherheit mangels eines ordnungspolitischen Leitbildes sind die wahren Bremsklötze beim Ausbau.
Auch bei den Zielen für den Mobilfunk-Ausbau wurde von politischer Seite nicht gekleckert. Bis 2026 unterbrechungsfreie drahtlose Sprach- und Datendienste für alle Endnutzer flächendeckend und dabei insbesondere die breitbandige Versorgung und die nutzbare Dienstequalität in ländlichen Räumen vorantreiben, so lauten die Vorgaben. Die Bundesnetzagentur legt im Kontext einer möglichen Verlängerung der Zuteilung wichtiger Mobilfunkfrequenzen nach und peilt an, dass die Mobilfunknetzbetreiber ab 2030 u. a. mindestens 99,5 Prozent der gesamten Landesfläche mit 50 Mbit/s versorgen können müssen. Spannend wird es wie immer bei den letzten paar Prozent, den schwierig zu erschließenden Lagen in Naturschutzgebieten – und dazu ohne Kunden.
Ohne einen großen Wurf zum Lösen des gordischen Knotens bei der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für neue Mobilfunkstandorte ist und war das politische „Wünsch-Dir-Was“ obsolet.
Im weit gefassten Sicherheitsbereich wurde gleich eine Vielzahl einschneidender Verfahren angestoßen. Die Komplexität der Vorgaben ist hoch, die Unternehmen haben erhebliche Zusatzaufwände zu tragen. Trotz Fristen aus Brüssel ist vieles weiter offen. Eine wie auch immer geartete Vorratsdatenspeicherung hängt wie ein Damoklesschwert über der Branche. Weiter steigende Kosten drücken auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die Deutsche Politik hat sich in einer angespannten Marktsituation als wenig verlässlicher Partner für die Wirtschaft erwiesen.
Die großen Hebel bleiben jedoch nun vorerst ungenutzt, allen voran das „überragende öffentliche Interesse“ bei der Errichtung digitaler Infrastrukturen, gerade in den besonders aufwendig zu erschließenden Naturschutzgebieten.